Schutz von Mensch und Umwelt muss auch bei Oberflächenanlagen jederzeit sichergestellt sein
Künftige Oberflächenanlagen eines geologischen Tiefenlagers müssen hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen. Nicht nur der Normalbetrieb, sondern auch Störfälle müssen beherrscht werden. Dies und mehr wurde an einer Informationsveranstaltung des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI und des Bundesamtes für Energie BFE aufgezeigt.
„Störfälle können in einer Oberflächenanlage aufgrund äusserer und innerer Einwirkungen, wie beispielsweise Brand, Erdbeben und Hochwasser auftreten. Auch der Mensch kann gewollt oder ungewollt einen Störfall verursachen oder verstärken“, erklärt Michael Wieser, Leiter des Aufsichtsbereichs Entsorgung beim ENSI. „Dementsprechend werden in Planung, Bau und Betrieb einer Oberflächenanlage umfassende Massahmen ergriffen.“
Stresstest relativiert Gefährdung
Ein Vergleich mit den Resultaten des „Stresstests“, der nach den Ereignissen in Fukushima für das breite Spektrum deutscher Entsorgungsanlagen durchgeführt wurde, relativiert das Gefährdungspotential einer künftigen Oberflächenanlage: „Auch unter extremen Einwirkungen resultierte keine massgebliche Belastung für Mensch und Umwelt“, sagt Michael Sailer, Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts e.V.
Bei den Zwischenlagern und Konditionierungsanlagen für hochaktive Abfälle zeigte sich, dass die Lagerbehälter bei allen betrachteten Störfällen einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit leisten. Sie bilden eine zuverlässige Barriere zum Einschluss der Radioaktivität. Während des Umladens von Abfällen aus den Transportbehälter in die Tiefenlagerbehälter fällt die Barrierewirkung des Behälters weg. Durch eine entsprechende Auslegung kann aber das Gebäude, in dem der Umlad stattfinden wird, die Barrierefunktion übernehmen.
Oberflächenanlagen gelten als Kernanlagen
Für alle Kernanlagen gelten die Anforderungen an die nukleare Sicherheit und Anforderungen an den Schutz gegen Störfälle. „Man müsse klar zwischen Kernkraftwerken und Oberflächenanlagen von geologischen Tiefenlagern unterscheiden“, erklärt Ann-Kathrin Leuz, Leiterin der Sektion Tiefenlagerung. Im Gegensatz zu einem Kernkraftwerk kann in einer Oberflächenanlage eine Kettenreaktion durch technische und administrative Massnahmen ausgeschlossen werden. Zudem sind die Brennelemente, die angeliefert werden, bereits so weit abgeklungen, dass die Restwärme passiv abgeführt werden kann und keine aktive Kühlung mehr notwendig ist.
„Im Vergleich zu Kernkraftwerken ist die Energiedichte in einer Oberflächenanlage sehr viel geringer“, bekräftigt Piet Zuidema, Mitglied der Geschäftsleitung der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle Nagra. Laut ihm gibt es um Grössenordnungen mehr Radioaktivität in einem Kernkraftwerk oder im Zwischenlager als in einer Oberflächenanlage für Tiefenlager. Zudem weisen die Abfälle eine gute Barrierewirkung auf, weil sie bereits verfestigt und verpackt in einer Gebindehülle angeliefert werden. Zusammen mit der Verpackung in Behältern und ihrem Einschluss beim Umlad kann eine Freisetzung auch bei schweren Störfällen wirksam verhindert werden.
Wirkungsvoller Notfallschutz
An die Auslegung von Kernanlagen gegen Störfälle werden gemäss den Ausführungen von Ann-Kathrin Leuz hohe gesetzliche Anforderungen gestellt. Jede Kernanlage – sei es ein Kernkraftwerk oder eine künftige Oberflächenanlage eines geologischen Tiefenlagers – muss so ausgelegt sein, dass für die unterschiedlichen Arten von Störfällen die gesetzlichen Dosisgrenzwerte eingehalten werden. Vom Gesuchsteller ist im Rahmen des Bewilligungsverfahrens ein Notfallschutzkonzept einzureichen.
Übergeordnet haben Expertengremien des Bundes (Bundesstab ABCN und Eidgenössische Kommission für ABC Schutz KomABC) ABCN-Referenzszenarien definiert. Diese dienen der Notfallvorsorge. Andreas Bucher, Chef Strategie und Kommunikation des Labors Spiez, legte dar, welch vielfältige Bedrohungsarten in der Schweiz diesen Referenzszenarien zu Grunde gelegt werden. Expertengremien überprüfen die Szenarien regelmässig. Die Zusammensetzung dieser Gremien kann je nach Szenario variieren.
Bis zum Bau von Oberflächenanlagen für geologische Tiefenlager werden noch einige Jahre vergehen. Vor diesem Hintergrund fasste Michael Wieser die Informationsveranstaltung wie folgt zusammen: „Anhand der heutigen Erkenntnisse gibt es keinerlei Anzeichen, dass der Schutz der Bevölkerung um die künftigen Oberflächenanlagen nicht sichergestellt werden kann. Das ENSI wird die entsprechenden Unterlagen der Nagra aber mehrfach und detailliert im Rahmen des ordentlichen Bewilligungsprozesses prüfen. In diese Arbeit, welche an das laufende Sachplanverfahren anschliesst, wurde mit der Informationsveranstaltung ein erster Einblick gewährt.“