ENSI stuft Brennstab-Vorkommnis im KKW Leibstadt tiefer ein

Die 2014 erstmalig festgestellten Befunde an einigen Brennelementen im KKW Leibstadt haben sich als von sicherheitstechnisch untergeordneter Bedeutung erwiesen. Das ENSI stuft deshalb die Befunde von 2014 bis 2016, die zunächst provisorisch als Vorkommnis der Stufe 1 auf der internationalen Bewertungsskala INES zugeordnet wurden, auf die Stufe 0 zurück.

Die im Jahr 2014 erstmals festgestellten v-förmigen Marken an einigen Hüllrohren im KKW Leibstadt (KKL) waren bislang einzigartig. Aufgrund verschiedener Indizien hatte das KKL zunächst den Verdacht, die Befunde könnten durch kritische Siedezustände, einem sogenannten Dryout, verursacht worden sein. Dieser könnte eine Schwächung der Hüllrohrwand zur Folge haben.

Entsprechend der Diagnose des Betreibers hatte das ENSI die Befunde aus den Jahren 2014 bis 2016 provisorisch als Vorkommnis der Stufe 1 („Anomalie“) der internationalen Bewertungsskala INES eingestuft.

Für umfangreiche Untersuchungen des Phänomens musste das KKL die Jahresrevision 2016 um rund sechs Monate verlängern. Erst nachdem der Betreiber geeignete Massnahmen zur künftigen Vermeidung des Phänomens identifiziert und ergriffen hatte, erteilte das ENSI dem KKL im Februar 2017 die Freigabe, die Stromproduktion mit reduzierter Leistung wieder aufzunehmen. Weitere Untersuchungen während der Jahresrevisionen 2017, 2018 und 2019 haben die Richtigkeit der ergriffenen Massnahmen bestätigt: Es gab keine neuen Befunde an den Brennstäben.

INES-Rückstufung

Im Jahr 2016 waren im KKL verstärkt v-förmige Verfärbungen an der Oberfläche der aus einer Zirkoniumlegierung bestehenden Brennstab-Hüllrohre festgestellt worden. Die Ergebnisse der ersten Analysen wiesen auf eine verstärkte Bildung von Zirkoniumoxid hin. Bei der Bildung einer Oxidschicht wächst ein Teil der Oxidschicht in das metallische Gefüge des Hüllrohrs hinein und bewirkt so eine Reduktion der ursprünglichen Wandstärke. Vertiefte Abklärungen zeigten jedoch, dass es sich um Ablagerungen auf den Hüllrohroberflächen handelte, welche dementsprechend die Wandstärke nicht beeinträchtigten. Die im KKL vorgefundenen v-förmigen Ablagerungen bestehen hauptsächlich aus Zinkoxid und Zinksilikat. Zink wird dem Reaktorwasser in geringen Mengen zugegeben, um die Ortsdosisleistung an Teilen des Reaktorkühlkreislaufs zu vermindern. Aufgrund der Strömungsverhältnisse bei gewissen Betriebszuständen war die Kühlung von einzelnen Brennstäben lokal verringert. Das führte zu erhöhten Konzentrationen und beim Überschreiten der Löslichkeitsgrenze zu den beobachteten Ablagerungen. Da entgegen der Ergebnisse der ersten Abklärungen keine Schwächung der Hüllrohrwand vorlag, ist die sicherheitstechnische Bedeutung des Vorkommnisses geringer als ursprünglich angenommen. Das ENSI ordnet das Vorkommnis daher neu der Stufe 0 und nicht mehr der Stufe 1 der internationalen Ereignisskala INES zu.

CRUD-Ablagerungen sind kein Dryout

Eine eingehende Untersuchung von Brennstäben aus dem KKL in den Heissen Zellen des PSI hat im Jahr 2018 ergeben, dass die Brennstab-Hüllrohre weder eine erhöhte Oxidschicht noch eine damit einhergehende Reduktion der Hüllrohr-Wanddicke aufwiesen. Damit wurde die ursprüngliche Hypothese des Dryout entkräftet.

Es handelte sich bei den im KKL vorgefundenen Erscheinungen um Ablagerungen auf der Hüllrohroberfläche. Dieser sogenannte CRUD ist generell eine normale Begleiterscheinung beim Reaktorbetrieb. Er entsteht durch im Kühlmittel befindliche Partikel, die sich auf Komponenten des Kühlkreislaufs niederschlagen. Aufgrund der Strömungsverhältnisse bei gewissen Betriebszuständen war die Kühlung von einzelnen Brennstäben lokal verringert. Dies führte im vorliegenden Fall zu verstärkten Ablagerungen. Die Kernkühlung und damit die Überdeckung der Brennstäbe mit Kühlmittel war jedoch jederzeit auch lokal sichergestellt.

Aufsicht hat Nachweis akzeptiert

Sowohl bei den Überprüfungen in den Jahren 2017 und 2018 als auch während der Revision 2019 wurden keine neuen v-förmigen CRUD-Ablagerungen identifiziert. Das KKL hat dem ENSI zusätzlich in zahlreichen Analysen aufgezeigt, dass das Phänomen ausreichend untersucht wurde und die bereits ergriffenen Massnahmen wirksam sind. Das ENSI hat den Nachweis des KKL akzeptiert, dass das Werk derartige v-förmige Ablagerungen an den Brennstäben künftig vermeiden kann. „Auch wenn die Ablagerungen von untergeordneter sicherheitstechnischer Bedeutung sind, sollten sie soweit möglich vermieden werden“, sagt Ralph Schulz, Leiter des Bereichs Sicherheitsanalysen beim ENSI.

Betreiber hat sicherheitsgerichtet entschieden

„Obwohl sich die ursprüngliche Beurteilung der Spezialisten des Werks und des Brennelement-Herstellers nicht bestätigt hat“, so Ralph Schulz, „war das konservative Vorgehen des KKL, zunächst einmal von einem schwerwiegenderen Problem auszugehen, richtig und sicherheitsgerichtet.“

Der in der Schweiz gepflegten Sicherheitskultur entsprechend hat das KKL das Phänomen der Ablagerungen an den Brennstäben nicht einfach ad acta gelegt. Deshalb bleiben die Begrenzungen zur Vermeidung der Ablagerungen, die sich inzwischen über drei Betriebszyklen bewährt haben, teilweise weiter bestehen. Dank der vom KKL vorgenommenen Anpassungen der Kernbeladung kann das KKL mit 100 Prozent der Reaktorleistung betrieben werden.

Begrenzungen

Der Kerndurchsatz, sprich das durch den Reaktorkern gepumpte Kühlwasser, ist ein massgeblicher Faktor bei der Entstehung der v-förmigen CRUD-Ablagerungen. Deshalb hält das ENSI weiterhin an der Begrenzung des Kerndurchsatzes fest. Diese Begrenzung gilt für alle Brennelemente und wird weiterhin bei < 95 Prozent bleiben.

Für die Brennelemente des betroffenen Typs bleibt darüber hinaus die Begrenzung der Bündelleistung bestehen.

Das KKL kann trotz reduziertem Kerndurchsatz und reduzierter Brennelementleistung des betroffenen Brennelement-Typs mit 100 Prozent der Reaktorleistung betrieben werden. Die Reaktorleistung eines Siedewasserreaktors hängt stark vereinfacht von der Beladestrategie (Anzahl und Verteilung reaktiver Brennelemente), dem Kerndurchsatz und der Einfahrtiefe der Steuerstäbe ab. Diese Faktoren wirken sich auf die Leistung der einzelnen Brennelemente und dementsprechend auf die Gesamtleistung des Reaktors aus. Übt man nun durch die Begrenzung eines Parameters eine Reduktion aus, lässt sich die Gesamtleistung durch Veränderung der restlichen Parameter kompensieren.