Die Schweiz hat auch im Notfallschutz Lehren aus Fukushima gezogen

Oberstes Ziel in der Schweiz ist es, dass sich ein Unfall wie in Fukushima nicht ereignen kann. Kommt es dennoch dazu, muss der Schutz der Bevölkerung gewährleistet sein. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima haben nicht nur die Betreiber aus den Erkenntnissen Massnahmen abgeleitet. Auch beim Notfallschutz hat man Optimierungsbedarf identifiziert und Massnahmen eingeleitet. Damit soll sichergestellt werden, dass die schweizerische Notfallorganisation auch auf Extremereignisse wie in Fukushima vorbereitet ist.

Am 4. Mai 2011 setzte der Bundesrat die interdepartementale Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Notfallschutzmassnahmen bei Extremereignissen in der Schweiz IDA NOMEX ein. Unter der Leitung des Bundesamts für Energie BFE überprüften die Bundeskanzlei, das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA, das Eidgenössische Departement des Inneren EDI, das Eidgenössische Justizdepartement EJPD, das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS, das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement EVD, das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK sowie das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI und die Kantone den Notfallschutz in der Schweiz und zeigten Verbesserungsmöglichkeiten auf.

Der Bundesrat nahm Anfang Juli 2012 den Bericht der Arbeitsgruppe zur Kenntnis und beauftragte verschiedene Bundesstellen mit der Erarbeitung von Massnahmen. Das ENSI beteiligt sich im Bereich der Kernanlagen. Im Mittelpunkt der Aufträge an das ENSI stehen die Referenzszenarien und die Zonenpläne. Das ENSI hat die Resultate seiner Unfallanalysen in die Arbeitsgruppe eingebracht. „Die Aufträge, die das ENSI betreffen, sind mehrheitlich bereits in den Lessons Learned erfasst, die wir im Oktober 2011 publiziert haben“, hält Georges Piller, Leiter des Fachbereichs Strahlenschutz beim ENSI fest. Auch das ENSI ist daran interessiert, dass alle betroffenen Organisationen den Notfallschutz bei Extremereignissen verbessern. „Zuständig für die Organisation des Bevölkerungsschutzes ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS. Das ENSI liefert die technisch-wissenschaftlichen Grundlagen für die Vorbereitung“, betont Georges Piller.

 

Bevölkerung kann vor Strahlung geschützt werden

Kommt es trotz aller Sicherheitsvorkehrungen in einem Kernkraftwerk zu einem schweren Unfall wie in Fukushima, ist nicht in jedem Fall mit einem Austritt grosser Mengen von Radioaktivität zu rechnen. Dank Systeme zur gefilterten Druckentlastung kann in Schweizer Kernkraftwerken der Druck im Containment kontrolliert abgebaut werden. Die eingebauten leistungsfähigen Filter können aerosolförmige Radionuklide wie Iod und Cäsium in hohem Mass zurückhalten. Solche Filter standen in Japan nicht zur Verfügung. „Wir konnten aber auch von Japan lernen“, betont Georg Schwarz, stellvertretender ENSI-Direktor und Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke. „Die Evakuierung der Bevölkerung konnte veranlasst werden bevor es zum Austritt von wesentlichen Radioaktivitätsmengen kam. Dadurch war die Bevölkerung vor der Strahlung geschützt.“ Die Evakuierungsplanung soll in der Schweiz aufgrund dieser Erkenntnisse neu überdacht werden.

 

ENSI kann Ausbreitungsberechnung durchführen

Um die Massnahmen in den möglicherweise betroffenen Gebieten anordnen zu können, ist das ENSI in der Lage, die atmosphärische Ausbreitung von radioaktiven Stoffen nach einem Austritt aus einem Kernkraftwerk in der Schweiz zu simulieren. Als Grundlagen dienen jeweils die anlagenspezifische Menge an Radioaktivität, der so genannte Quellterm und Prognosedaten der MeteoSchweiz. So kann bei einem Austritt berechnet werden, wann welche Gebiete von einer radioaktiven Wolke erreicht werden. Die Messorgane und Einsatzkräfte können so gezielt eingesetzt und die Bevölkerung rechtzeitig alarmiert werden, damit sich diese vorsorglich schützen kann. Mit dem Messnetz zur Dosisleistungsüberwachung MADUK wird zudem in der Umgebung der Kernkraftwerke die Radioaktivität überwacht. In Zusammenarbeit mit dem ENSI, das in einer solchen Situation beratend zur Seite steht, alarmiert die Nationale Alarmzentrale NAZ die Bevölkerung.

 

Überprüfung von Referenzszenarien…

Um sich für Notfälle rüsten zu können, braucht es Szenarien, an denen man sich orientieren kann. Das ENSI hat derzeit drei repräsentative Referenzszenarien definiert. In Fukushima sind aber grössere Mengen an radioaktiven Stoffen in die Umwelt gelangt als in den Referenzszenarien bisher angenommen. „Wir haben daher im Rahmen der IDA NOMEX die periodisch geplante Überprüfung dieser Referenzszenarien zeitlich vorgezogen“, sagt Georges Piller. Dazu gehört auch die Überprüfung der Quellterme. Bis Ende dieses Jahres muss das ENSI in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, dem Bundesamt für Gesundheit BAG und den Kantonen einen Bericht abliefern.

 

…und Zonenplänen

Damit verbunden muss das ENSI im Auftrag des Bundesrates bis Mitte des nächsten Jahres das Zonenkonzept in der Umgebung der Kernkraftwerke im Hinblick auf eine Änderung der Notfallschutzverordnung überprüfen. „Dabei werden wir auch die Empfehlungen internationaler Gremien wie der Internationalen Atomenergieagentur IAEA, Heads of European Radiological protection Competent Authorities HERCA, und der Commission on Radiological Protection ICRP berücksichtigen“, sagt Georges Piller. Diese Empfehlungen wurden nach Fukushima überprüft und enthalten bereits allfällige Konsequenzen.

 

Kontaminiertes Wasser als Prüfpunkt identifiziert

Im Rahmen der Analyse der Ereignisse in Fukushima hat das ENSI auch der Umgang mit grossen Mengen kontaminierten Wassers identifiziert. In seinem Prüfpunkt 35 hat es die Frage aufgeworfen, wie das kontaminierte Wasser zurückgehalten und gereinigt werden kann. Dieser Prüfpunkt soll im Rahmen der Aktionspläne bis spätestens 2015 abgearbeitet werden.