Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg nur unter strengen Auflagen

Für den Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg verlangt das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI umfassende Nachrüstungen. Die verbindliche Umsetzungsplanung für die wichtigsten Nachrüstprojekte muss bis zum 30. Juni 2013 eingereicht werden. Dies fordert das ENSI in seiner Sicherheitstechnischen Stellungnahme zum Langzeitbetrieb.

Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg nur unter strengen Auflagen
Aussenansicht des Kernkraftwerks Mühleberg aus dem Jahr 2010. (Bild: Ensi)

„Zur Zeit erfüllt das Kernkraftwerk Mühleberg die im Gesetz festgeschriebenen sicherheitstechnischen Mindestanforderung und verfügt auch über die vom ENSI verlangten zusätzlichen Sicherheitsmargen“, stellt Georg Schwarz, Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke und stellvertretender ENSI-Direktor fest. Einem Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg stehe deshalb zurzeit nichts entgegen. „Aber einem Betrieb über das Jahr 2017 hinaus kann die Aufsichtsbehörde nur zustimmen, wenn die BKW umfassende Nachrüstungen realisiert“, betont er. „Mit diesen Nachrüstungen wird die Sicherheit des Kernkraftwerks Mühleberg auf den neuesten Stand der Nachrüsttechnik gebracht.“

Mit den eingereichten Nachweisen hat die Betreiberin des Kernkraftwerks Mühleberg nachgewiesen, dass das Material die Zustandsanforderungen auch für eine Betriebsdauer von fünfzig Jahren erfüllt. „Es gibt aber Einschränkungen“, betont Georg Schwarz. „Das ENSI hat deshalb insgesamt zehn Forderungen für den Langzeitbetrieb gestellt.“ Die entsprechenden Nachrüstungen müssen gestaffelt spätestens bis zum Ende der Jahresrevision 2017 umgesetzt werden. Ein erster Teil der verbindlichen Umsetzungsplanungen ist dem ENSI bis zum 30. Juni 2013 einzureichen, die restlichen bis zum 31. Dezember 2013. Die wichtigsten Forderungen neben den Nachrüstungen der Kühlsysteme – dem DIWANAS-Projekt – betreffen den Kernmantel, das Containment und die Beherrschung von Störfällen.

 

Umsetzung des DIWANAS-Projektes bis spätestens 2017

Das Kernkraftwerk Mühleberg wird heute – im Gegensatz zu anderen Kernkraftwerken in der Schweiz – nur mit Wasser aus dem Fluss gekühlt. „Aufgrund der Erkenntnisse aus dem Unfall von Fukushima ist dies nicht mehr ausreichend“, erklärt Georg Schwarz. Aus diesem Grund verlangt das ENSI vom Kernkraftwerk Mühleberg den Bau einer zusätzlichen, von der Aare unabhängigen Kühlwasserversorgung.

Neben der Realisierung einer zusätzlichen, von der Aare unabhängigen Kühlwasserversorgung werden zudem die Nachrüstung eines erdbebenfesten Brennelementbecken-Kühlsystems und ein zusätzliches Nachwärme-Abfuhrsystems verlangt. Damit wird die Sicherheit des Kernkraftwerks Mühleberg weiter erhöht und auf den neuesten Stand der Nachrüsttechnik gebracht. Im Hinblick auf den Langzeitbetrieb müssen diese Nachrüstungen gestaffelt bis zum Ende der Jahresrevision 2017 umgesetzt werden. „Wichtige Etappen müssen bereits früher umgesetzt sein“, hält Georg Schwarz fest.

 

Stabilisierungsmassnahmen für Kernmantel

Die Sicherheitsnachweise für den Kernmantel werden durch die regelmässigen Ultraschallprüfungen und die anschliessenden struktur- und bruchmechanischen Bewertungen auch ohne Berücksichtigung der Zuganker erbracht. Die letzten Messungen haben gezeigt, dass aufgrund der verbesserten Wasserchemie das Wachstum der Risse sich eher verlangsamt. Zudem bestehen grosse Sicherheitsmargen gegenüber den Anforderungen der Bauvorschrift. Aus diesem Grund erachtet das ENSI die Strukturintegrität des rissbehafteten Kernmantels – ohne Berücksichtigung der Zuganker – für die nächsten fünf Betriebsjahre als gewährleistet.

„Eine Prognose über das Jahr 2017 hinaus ist indessen mit Unsicherheiten behaftet“, erklärt Georg Schwarz. „Deshalb gehen wir für den Langzeitbetrieb über 2017 davon aus, dass für den Kernmantel weitere Stabilisierungsmassnahmen erforderlich sein werden und fordern vom Kernkraftwerk Mühleberg, dass die bisherige Zugankerkonstruktion bis spätestens in der Jahresrevision 2017 durch eine neue Konstruktion ersetzt wird.“ Der Freigabeantrag muss bis zum 31. Dezember 2013 eingereicht werden.

 

Zustand des Primärcontainments umfassender untersuchen

Die Stahldruckschale und die Betonhülle des Containments weisen ausreichende Sicherheitsmargen aus. Für den Langzeitbetrieb muss die Aufmerksamkeit aber auch auf die bisher als unzugänglich eingestuften Bereiche von Anlageteilen gerichtet werden. Das Kernkraftwerk Mühleberg muss deshalb bis zum 31. Dezember 2013 ein Konzept vorlegen, wie der Materialzustand des Primärcontainments umfassender beurteilt werden kann.

Dazu müssen insbesondere die bisher als unzugänglich eingestuften Bereiche des Drywells sowie die ermüdungsrelevanten Bereiche der Überströmrohre betrachtet werden. Es sind zerstörungsfreie Messtechniken, Analysen zu den relevanten Korrosionsmechanismen und mögliche Abhilfemassnahmen zu berücksichtigen. Basierend auf den Erkenntnissen müssen die Betreiber im Hinblick auf den Langzeitbetrieb das weitere Instandhaltungskonzept für das Primärcontainment festlegen.

 

Drei Forderungen zu Störfallnachweisen

Im Bereich der Störfallanalysen entspricht das Kernkraftwerk Mühleberg – unter Berücksichtigung der bereits geplanten Nachrüstprojekte – dem im Kernenergiegesetz geforderten Stand der Nachrüsttechnik. In drei Punkten sieht das ENSI jedoch weiteren Abklärungsbedarf. Diese betreffen die diversitäre Auslösung der Sicherheitsfunktion für die Kühlmitteleinspeisung in den Reaktordruckbehälter, die diversitäre Sicherstellung des Überspeisungsschutzes und die Vorsorge gegen auslegungsüberschreitende Störfälle.

 

Kurzfristige Massnahmen

Verschiedene Massnahmen müssen bereits in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden. So verlangt das ENSI vom Kernkraftwerk Mühleberg bis Mitte des kommenden Jahres den systematischen Nachweis, dass für auslegungsüberschreitende externe Ereignisse alle angemessenen Vorkehrungen zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung mittels fest installierter Systeme oder kurzfristig verfügbarer, vorbereiteter Massnahmen getroffen wurden. Weiter müssen bis Ende 2014 alle Kabel der Sicherheitssysteme im Reaktorgebäude, für welche keine Auslegungsdokumentation vorhanden ist, ersetzt werden.

 

ENSI-Stellungnahme zum Umfassenden Instandhaltungskonzept

Parallel zur Stellungnahme zum Langzeitbetrieb hat das ENSI gegenüber dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK sein Gutachten zum Umfassenden Instandhaltungskonzept (UIK) abgegeben. Inhaltlich ist das UIK durch die Beurteilung des Langzeitbetriebs abgedeckt.

Die Forderungen im Wortlaut:

  1. Das KKM hat die Realisierung einer zusätzlichen, von der Aare unabhängigen Kühlwasserversorgung sowie die Nachrüstung eines erdbebenfesten Brennelementbecken-Kühlsystems und eines zusätzlichen Nachwärmeabfuhrsystems bis zum Ende der Jahresrevision 2017 umzusetzen. Die Umsetzungsplanung ist dem ENSI bis zum 30. Juni 2013 einzureichen. Die Erweiterung der Brennelementbecken-Instrumentierung ist bis zum 31. Dezember 2013 zu realisieren.
  2. Das KKM hat für auslegungsüberschreitende externe Ereignisse systematisch aufzuzeigen, dass alle angemessenen Vorkehrungen zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung mittels fest installierter Systeme oder kurzfristig verfügbarer, vorbereiteter Massnahmen getroffen wurden. Es ist aufzuzeigen, dass Margen gegenüber den Anforderungen bei externen Ereignissen im Auslegungsbereich bestehen. Eine sicherheitstechnische Bewertung der geplanten sowie der umgesetzten Nachrüstungen und Massnahmen ist dem ENSI bis zum 30. Juni 2013 in einem Bericht vorzulegen.
  3. Das KKM wird aufgefordert, dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 ein Konzept vorzulegen, wie die Aspekte der Materialalterung für die mechanischen Komponenten der Sicherheitsklasse 4 berücksichtigt werden.
  4. Das KKM wird aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2014 alle 1E-Kabel der Sicherheitssysteme im Reaktorgebäude, für welche keine Auslegungsdokumentation vorhanden ist, zu ersetzen. Für die übrigen sicherheitsrelevanten Kabel, für die keine Auslegungsdokumentation vorhanden ist, ist dem ENSI bis zum 30. Juni 2013 eine Ersatzplanung einzureichen.
  5. Das KKM wird aufgefordert, die bisher durchgeführten thermohydraulischen und bruchmechanischen Analysen zum Integritätsnachweis des Reaktordruckbehälters bei postulierten Rissen unter Thermoschockbedingungen gemäss dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu aktualisieren. Die Ergebnisse der aktualisierten Berechnungen sind dem ENSI bis zum 31. Dezember 2014 in einem Bericht vorzulegen.
  6. Das KKM hat die im Instandhaltungskonzept vom 23. Dezember 2011 beschriebenen Stabilisierungsmassnahmen für den Kernmantel spätestens in der Jahresrevision 2017 umzusetzen. Dem ENSI ist bis zum 31. Dezember 2013 der Konzeptfreigabeantrag einzureichen.
  7. Das KKM wird aufgefordert, dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 ein Konzept vorzulegen, wie der Materialzustand des Primärcontainments umfassender beurteilt werden kann. Dazu sind insbesondere die bisher als unzugänglich eingestuften Bereiche des Drywells sowie die ermüdungsrelevanten Bereiche der Überströmrohre zu betrachten. Es sind zerstörungsfreie Messtechniken, Analysen zu den relevanten Korrosionsmechanismen und mögliche Abhilfemassnahmen zu berücksichtigen. Basierend auf den Erkenntnissen hat das KKM im Hinblick auf den Langzeitbetrieb das weitere Instandhaltungskonzept für das Primärcontainment festzulegen.
  8. Das KKM hat vor der nächsten Beladung eines Brennelementbehälters den deterministischen Sicherheitsnachweis zu erbringen, dass die Vorsorgemassnahmen für den Störfall „Absturz eines Brennelementbehälters“ ausreichend sind. Der entsprechende Nachweis für den Störfall „Torusleckagen“ ist bis zum 31. Dezember 2013 zu führen.
  9. Das KKM hat die Nachrüstung einer diversitären, automatischen Auslösung der Sicherheitsfunktion „Kühlmitteleinspeisung in den RDB“ sicherheitstechnisch zu bewerten und die Ergebnisse dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 einzureichen.
  10. Das KKM hat die Nachrüstung einer automatischen Auslösung der Reaktorschnellabschaltung bei hohem RDB-Füllstand sowie weitere diversitäre Massnahmen zur Sicherstellung des Überspeisungsschutzes des RDB sicherheitstechnisch zu bewerten und die Ergebnisse dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 einzureichen.