Kernkraftwerk Mühleberg: ENSI fordert hohe Sicherheit bis zum letzten Betriebstag

Das Kernkraftwerk Mühleberg muss auch in der verbleibenden Laufzeit in die Sicherheit investieren. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI fordert in seiner Verfügung Massnahmen, um die Sicherheitsmarge bis zum letzten Betriebstag hoch zu halten.

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Ausserbetriebnahme im Jahr 2019: Das ENSI hat die Entwicklung der Sicherheitsmarge unter der neuen Ausgangslage überprüft und nun entsprechende Forderungen verfügt.

Die BKW Energie AG verzichtet mit dem Abschalttermin 2019 auf einen unbefristeten Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg. Mit diesem Entscheid des BKW-Verwaltungsrats vom 29. Oktober 2013 liegt bezüglich der Planung der Massnahmen für die Sicherheit eine neue Situation vor.

„Die verkürzte Laufzeit entbindet die Mühleberg-Betreiberin jedoch nicht davon, weiter in die Sicherheit des Kernkraftwerks zu investieren“, betont ENSI-Direktor Hans Wanner. „Wir werden darauf bestehen, dass die Sicherheitsmarge bis zum letzten Betriebstag im Jahr 2019 wesentlich über den Ausserbetriebnahmekriterien bleibt.

Das ENSI hat die Entwicklung der Sicherheitsmarge unter der neuen Ausgangslage überprüft und nun entsprechende Forderungen verfügt. „Die meisten Forderungen bleiben gegenüber jenen aus der letztjährigen Stellungnahme zum unbefristeten Langzeitbetrieb unverändert bestehen“, fasst Georg Schwarz, Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke, die Verfügung zusammen. „Bei den Übrigen definieren die ursprünglichen Forderungen grundsätzlich das Sicherheitsniveau, das weiterhin anzustreben ist“, erklärt der stellvertretende ENSI-Direktor weiter.

 

Alternativen müssen ausreichenden Sicherheitsgewinn bringen

5 der 18 Forderungen der ENSI-Verfügung muss das Kernkraftwerk Mühleberg bis Ende dieses Jahres umgesetzt haben, weitere 11 im kommenden Jahr. Mit der verkürzten Laufzeit haben sich gegenüber dem unbefristeten Langzeitbetrieb die Voraussetzungen geändert. Verschiedene Massnahmen, die für den unbefristeten Langzeitbetrieb vorgesehen sind, können erst bis 2017 realisiert werden. Diese würden somit bei einer Abschaltung 2019 nur zwei Jahre zum Tragen kommen.

Bettroffen sind die Stabilisierungsmassnahmen für den Kernmantel, die Realisierung der zusätzlichen, erdbebenfesten und überflutungssicheren, von der Aare unabhängigen Kühlwasserversorgung (Programm DIWANAS) und die Realisierung eines erdbebenfesten und überflutungssicheren Brennelementbecken-Kühlsystems, sowie eines zusätzlichen Nachwärmeabfuhrsystems.

Bei diesen Nachrüstungen hat das Kernkraftwerk Mühleberg die Möglichkeit, ein neues Konzept einzureichen. Abweichungen von den ursprünglichen Forderungen des ENSI für den unbefristeten Langzeitbetrieb sind aber mit einer Bedingung verknüpft: Die alternativen Massnahmen müssen die nötige Sicherheit gewährleisten können. Dies muss der Betreiber in seinem Konzept aufzeigen, das er bis Ende Juni 2014 einreichen muss.

„Erst auf Grund dieser Konzepte werden wir entscheiden können, ob die vorgeschlagenen Massnahmen für den Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg bis 2019 genügen“, stellt Hans Wanner klar.

Forderungen, die unabhängig vom Ausserbetriebnahmezeitpunkt umgesetzt werden müssen

  • Das KKM wird aufgefordert, dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 ein Konzept vorzulegen, wie die Aspekte der Materialalterung für die mechanischen Komponenten der Sicherheitsklasse 4 berücksichtigt werden. (Forderung 2)
  • Das KKM wird aufgefordert, dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 ein Konzept vorzulegen, wie der Materialzustand des Primärcontainments umfassender beurteilt werden kann. Dazu sind insbesondere die bisher als unzugänglich eingestuften Bereiche des Drywells sowie die ermüdungsrelevanten Bereiche der Überströmrohre zu betrachten. Es sind zerstörungsfreie Messtechniken, Analysen zu den relevanten Korrosionsmechanismen und mögliche Abhilfemassnahmen zu berücksichtigen. Basierend auf den Erkenntnissen hat das KKM das weitere Instandhaltungskonzept für das Primärcontainment festzulegen. (Forderung 6)
  • Das KKM hat vor der nächsten Beladung eines Brennelementbehälters den deterministischen Sicherheitsnachweis zu erbringen, dass die Vorsorgemassnahmen für den Störfall „Absturz eines Brennelementbehälters“ ausreichend sind. Der entsprechende Nachweis für den Störfall „Torusleckagen“ ist bis zum 31. Dezember 2013 zu führen. (Forderung 7)
  • Das KKM hat die Nachrüstung einer diversitären, automatischen Auslösung der Sicherheitsfunktion „Kühlmitteleinspeisung in den RDB“ sicherheitstechnisch zu bewerten und die Ergebnisse dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 einzureichen. (Forderung 8)
  • Das KKM hat die Nachrüstung einer automatischen Auslösung der Reaktorschnellabschaltung bei hohem RDB-Füllstand sowie weitere diversitäre Massnahmen zur Sicherstellung des Überspeisungsschutzes des RDB sicherheitstechnisch zu bewerten und die Ergebnisse dem ENSI bis zum 31. Dezember 2013 einzureichen. (Forderung 9)
  • Das KKM hat bis zum 30. Juni 2014 die erweiterten Analysen bezüglich der Auswirkungen von Bränden und Überflutung im Reaktorgebäude beim ENSI einzureichen. (Forderung 16)
  • Das KKM hat für Brände und interne Überflutungen im Reaktorgebäude systematisch aufzuzeigen, dass alle angemessenen Vorkehrungen zu einer weiteren Verminderung der Gefährdung mittels fest installierter Systeme oder kurzfristig verfügbarer, vorbereiteter Massnahmen getroffen wurden. Eine sicherheitstechnische Bewertung der geplanten sowie der umgesetzten Nachrüstungen und Massnahmen ist dem ENSI bis zum 30. Juni 2014 in einem Bericht vorzulegen. (Forderung 17)
  • Das KKM hat bis zur Jahresrevision 2014 Massnahmen durchzuführen, um potentielle seismisch bedingte Leckagen aus dem Bereich des Brennelementbecken-Kühlkreislaufs weiter zu reduzieren. (Forderung 10)
  • Das KKM wird aufgefordert, die bisher durchgeführten thermohydraulischen und bruchmechanischen Analysen zum Integritätsnachweis des Reaktordruckbehälters bei postulierten Rissen unter Thermoschockbedingungen gemäss dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu aktualisieren. Die Ergebnisse der aktualisierten Berechnungen sind dem ENSI bis zum 31. Dezember 2014 in einem Bericht vorzulegen. (Forderung 4)
  • Es sind Massnahmen zur Reduktion der Gefährdung aufgrund von erdbebeninduzierter Überflutung zu treffen. Deren Umsetzung hat bis zum 31. Dezember 2014 zu erfolgen. (Forderung 12)
  • Das KKM wird aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2014 alle 1E-Kabel der Sicherheitssysteme im Reaktorgebäude, für welche keine Auslegungsdokumentation vorhanden ist, zu ersetzen. Für die übrigen sicherheitsrelevanten Kabel ist der Austausch bzw. die Requalifikation laut Konzept vom 27. Juni 2013 bis spätestens 2018 umzusetzen. Die entsprechende Dokumentation ist dem ENSI vorzulegen. (Forderung 3)
  • Das KKM hat bis zum Ende der Jahresrevision 2015 einen zusätzlichen, erdbebenfesten Anschluss im SUSAN-Kühlwassersystem für den Einsatz mobiler Pumpen zu installieren. (Forderung 11)
  • Das KKM hat bis zum Ende der Jahresrevision 2015 eine zusätzliche, von der Aare unabhängige Kühlwasserversorgung für das SUSAN-Notstandsystem nachzurüsten. (Forderung 13)

Forderungen, bei denen Alternativvorschläge eingereicht werden können

  • Das KKM hat für den Betrieb über das Jahr 2017 hinaus bis zum 30. Juni 2014 aufzuzeigen, wie es auch ohne Umsetzung der im Instandhaltungskonzept vom 23. Dezember 2011 beschriebenen Stabilisierungsmassnahmen für den Kernmantel, einen unter Berücksichtigung der verbleibenden Betriebsdauer ausreichenden Sicherheitsgewinn erzielen kann. (Forderung 5)
  • Das KKM hat für den Betrieb über das Jahr 2017 hinaus bis zum 30. Juni 2014 aufzuzeigen, wie es auch ohne Realisierung der zusätzlichen, erdbebenfesten und überflutungssicheren, von der Aare unabhängigen Kühlwasserversorgung, einen unter Berücksichtigung der verbleibenden Betriebsdauer ausreichenden Sicherheitsgewinn erzielen kann. (Forderung 14)
  • Das KKM hat für den Betrieb über das Jahr 2017 hinaus bis zum 30. Juni 2014 aufzuzeigen, wie es auch ohne Realisierung eines erdbebenfesten und überflutungssicheren Brennelementbecken-Kühlsystems, einen unter Berücksichtigung der verbleibenden Betriebsdauer ausreichenden Sicherheitsgewinn erzielen kann. (Forderung 15)
  • Das KKM hat für den Betrieb über das Jahr 2017 hinaus bis zum 30. Juni 2014 aufzuzeigen, wie es auch ohne Realisierung eines zusätzlichen Nachwärmeabfuhrsystems, einen unter Berücksichtigung der verbleibenden Betriebsdauer ausreichenden Sicherheitsgewinn erzielen kann. (Forderung 18)

Verschiedene Massnahmen bereits umgesetzt

Auf Grund der Erkenntnisse aus Fukushima hat das ENSI beim Schutz vor Erdbeben und beim Schutz vor Hochwasser Verbesserungen gefordert. Zentrales Ziel ist es immer, dass die Kühlung der Brennelemente unter allen Umständen gewährleistet bleibt. Um die gestaffelte Sicherheitsvorsorge zu stärken, wurden fest installierte Systeme nachgerüstet, zusätzliche mobile Einsatzmittel beschafft sowie die bestehenden Notfallstrategien erweitert.

Das ENSI kommt zum Ergebnis, dass das Kernkraftwerk Mühleberg bereits vor Fukushima über ein breites Spektrum von Massnahmen auf der Sicherheitsebene 4 verfügte, welches nach Fukushima erweitert wurde, so dass der Schutz gegen externe Ereignisse systematisch erhöht werden konnte. „Auch dadurch erfüllt das Kernkraftwerk Mühleberg heute nicht nur die gesetzlichen Mindestanforderungen, sondern verfügt darüber hinaus über eine Sicherheitsmarge“, betont Hans Wanner.

Aus eigener Initiative hat die BKW die Verstärkung der Stauanlage Mühleberg initiiert. Aus Sicht des ENSI ist die geplante Erhöhung der Erdbebensicherheit des Wasserkraftwerks Mühleberg geeignet, um die Wahrscheinlichkeit, dass es im Kernkraftwerk Mühleberg zu einem Kernschaden kommt, signifikant zu senken. Da die Arbeiten am Wasserkraftwerk Mühleberg jedoch nicht der Aufsicht des ENSI unterstehen, verzichtet das ENSI auf eine Forderung dazu.

 

Geordnete Stilllegung muss vorbereitet werden

Eine weitere zentrale Forderung betrifft die Zeit nach der Ausserbetriebnahme. „Wir wollen eine geordnete und sichere Stilllegung“, erklärt Michael Wieser, Leiter des Aufsichtsbereichs Entsorgung. Auch beim Übergang vom Betrieb in den Nachbetrieb muss ein hohes Mass an Sicherheit gewährleistet sein. Dazu muss unter anderem genügend qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen. Die BKW muss deshalb bereits bis Ende 2014 Unterlagen beim ENSI einreichen.

So muss unter anderem aufgezeigt werden, welche sicherheitsrelevanten Systeme und Anlagenteile für die Nachbetriebs- und die daran anschliessende Stilllegungsphase noch benötigt oder angepasst werden. Dabei müssen auch die Nachrüstmassnahmen berücksichtigt werden, die bis zur Ausserbetriebnahme umgesetzt werden. Weiter fordert das ENSI, dass das Kernkraftwerk Mühleberg die Art und den Umfang der Arbeiten darstellt und einen zeitlichen Ablauf vorlegt. Zudem muss gezeigt werden, wie viel radioaktive Abfälle und nicht kontaminiertes Material während der Restlaufzeit und der Nachbetriebsphase anfällt.

Forderungen für die Zeit nach der Ausserbetriebnahme

Für eine endgültige Ausserbetriebnahme des KKM im Jahr 2019 muss die BKW Energie AG im Hinblick auf die Stilllegung entsprechend dem Ausserbetriebnahmedatum die folgenden Unterlagen bis zum 31. Dezember 2014 einreichen:

  • Darlegung, welche sicherheitsrelevanten Systeme und Anlageteile für die Nachbetriebsphase und die daran anschliessenden Stilllegungsphasen noch benötigt oder angepasst werden.
  • Konzept für Abtransport und Zwischenlagerung des Kernbrennstoffs inkl. Beschaffung geeigneter Transport- und Lagerbehälter.
  • Darstellung von Art und Umfang der Arbeiten im Nachbetrieb mit zeitlichem Ablauf.
  • Allgemeine Sicherheitsbewertung des Nachbetriebes.
  • Vorgehen zur Berücksichtigung menschlicher und organisatorischer Faktoren im Hinblick auf die endgültige Ausserbetriebnahme und den Nachbetrieb.
  • Darstellung der erwarteten radioaktiven Abfälle und inaktiv freigemessenen Materialien für die Nachbetriebsphase.

Verfügung durch hängiges Verfahren verzögert

Am 21. Dezember 2012 hatte das ENSI zum Langzeitbetriebsnachweis des Kernkraftwerks Mühleberg Stellung genommen und verschiedene Massnahmen für einen unbefristeten Langzeitbetrieb gefordert. Da damals noch ein Verfahren vor Bundesgericht zur Befristung des KKW-Betriebs hängig war, verzichtete das ENSI auf eine formelle Verfügung seiner Forderungen. Ende März 2013 hob das Bundesgericht die Befristung der Betriebsbewilligung auf.

 

ENSI fehlen noch zusätzliche Unterlagen

Im September 2013 unterbreitete die BKW dem ENSI als Variante für die übergeordnete Unternehmensplanung ein Konzept für die endgültige Ausserbetriebnahme 2019 beim ENSI ein. „Wir haben die Unterlagen geprüft und sind zum Schluss gekommen, dass zum heutigen Zeitpunkt keine abschliessende Beurteilung des Nachrüstkonzepts möglich ist“, erklärt Georg Schwarz.

 

KNS begrüsst Vorgehen des ENSI

Weiter äusserte sich die Eidgenössische Kommission für nukleare Sicherheit KNS am 24. Oktober 2013 zur Stellungnahme des ENSI zum Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg. Die KNS begrüsst grundsätzlich die Beurteilungsgrundlagen und -methodik des ENSI. Sie unterstützt die vom ENSI in der Stellungnahme gestellten Forderungen. Zu verschiedenen Punkten gab die KNS Empfehlungen ab, welche das ENSI berücksichtigt.

Am 25. Oktober 2013 unterbreitete das ENSI im Rahmen des rechtlichen Gehörs der BKW den Verfügungsentwurf mit den Forderungen im Hinblick auf den unbefristeten Langzeitbetrieb zur Stellungnahme. Darin wurde die BKW unter anderem aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2013 den Grundsatz- und Investitionsentscheid zum Langzeitbetrieb des Kernkraftwerks Mühleberg zu fällen oder andernfalls dem ENSI gegenüber zu erklären, dass die Anlage vor Ende 2022 endgültig ausser Betrieb genommen werde. Vier Tage später entschied der BKW-Verwaltungsrat, das Kernkraftwerk Mühleberg 2019 definitiv ausser Betrieb zu nehmen.