Zehn Jahre nach Fukushima (4/6): Die Konsequenzen für die Schweizer Kernkraftwerke und die Aufsicht

Nach den Ereignissen in Fukushima-Daiichi hat das ENSI Sofortmassnahmen und zusätzliche Überprüfungen zur Sicherheit der Schweizer Kernkraftwerke verfügt. Zudem leitete das ENSI aus der Unfallanalyse und aus dem EU-Stresstest den Handlungsbedarf zur Verbesserung der nuklearen Sicherheit in der Schweiz ab: den «Aktionsplan Fukushima».

Unmittelbar nach dem Unfall im Kernkraftwerk (KKW) Fukushima-Daiichi verfügte das ENSI zwei Sofortmassnahmen in der Schweiz: Ein externes Notfalllager wurde in Reitnau eingerichtet und am 1. Juni 2011 in Betrieb genommen. Parallel dazu rüsteten die Schweizer KKW zusätzliche Anschlüsse für die Wasserzufuhr zu den Brennelementlagerbecken nach.

Aktionsplan Fukushima: Diverse Nachrüstungen zur Verbesserung der Sicherheit

Zusätzlich zu den Sofortmassnahmen machte das ENSI eine umfangreiche Unfallanalyse und beteiligte sich aktiv am EU-Stresstest im Jahr 2011 (siehe auch «Zehn Jahre nach Fukushima (3/6): Der EU-Stresstest»). Daraus wurden insgesamt 43 Prüfpunkte abgeleitet, die im Rahmen des schweizerischen Aktionsplans Fukushima zu 20 Untersuchungsschwerpunkten zusammengefasst wurden. Ende 2016 schloss das ENSI die Arbeiten zum Aktionsplan ab. Einige noch offene Punkte verfolgte das ENSI im Rahmen seiner regulären Aufsichtstätigkeit weiter.

Untersuchungsschwerpunkte des Aktionsplans Fukushima

Schutz gegen naturbedingte Ereignisse

Schutz gegen den Verlust fundamentaler Sicherheitsfunktionen

  • Verlust der Wechselstromversorgung
  • Verlust der ultimativen Wärmesenke

Schutz gegen schwere Unfälle (Severe Accident Management)

Nationales Notfallmanagement

Nationale Aufsicht

Internationale Zusammenarbeit

  • Internationaler Erfahrungsrückfluss
  • Internationale Aufsicht und Kooperation
  • EU-Stresstest Follow-Up

Von 2012 bis 2015 setzte das ENSI im Aktionsplan Fukushima jährliche Schwerpunkte und veröffentlichte dazu jeweils Berichte, in dem es auch den Stand der Bearbeitung aufzeigte. Im Schlussbericht Aktionsplan Fukushima fasste das ENSI zusammen, welche Untersuchungen durchgeführt wurden und welche Massnahmen daraus resultierten.

Schutz gegen naturbedingte Ereignisse

Die Untersuchungen, welche das ENSI im Rahmen des Aktionsplans Fukushima durchführte, haben Folgendes bestätigt: Die Schweizer KKW weisen einen hohen Schutz gegen die Auswirkungen von Erdbeben, Überflutung sowie extremer Wetterbedingungen auf. Die bisher angenommenen Gefährdungen wurden dafür aktualisiert. Für den Fall, dass zentrale Sicherheitsfunktionen ausfallen würden, haben die KKW zudem geeignete Vorkehrungen für den Schutz von Mensch und Umwelt getroffen.

In den KKW Mühleberg und Beznau hat das ENSI Nachrüstungen zur zusätzlichen Verbesserung der Sicherheit gefordert: eine von der Aare unabhängige Kühlwasserversorgung des Notstandsystems im KKM sowie neue seismisch robuste Systeme zur Brennelementbeckenkühlung in beiden Anlagen. Im KKW Mühleberg wurden beide Nachrüstungen abgeschlossen. Im KKW Beznau hat sich die Nachrüstung aufgrund einer erforderlichen grundlegenden Konzeptänderung verzögert und wird für beide Blöcke voraussichtlich erst in den beiden nächsten Jahren beendet sein. 

Schutz gegen schwere Unfälle

Bei den Untersuchungen, inwiefern die Schweizer KKW gegen schwere Unfälle geschützt sind (Severe Accident Management), identifizierte das ENSI mehrere Verbesserungsmöglichkeiten. Eine Reihe von Massnahmen wurde in der Folge umgesetzt: Neben dem externen Lager für Notfallmittel in Reitnau wurde ein Ersatzstandort für die Notfallorganisation des ENSI geschaffen, die Prozessabläufe und Kriterien zur Meldung und Alarmierung radioaktiver Abgaben in Fliessgewässer angepasst, anlagenexterne Notfalleinsatzräume eingerichtet sowie (weitere) passive Rekombinatoren zur Beherrschung von Wasserstoff im Containment und ausserhalb des Containments im Reaktorgebäude in den KKW Gösgen, Leibstadt und Beznau nachgerüstet.

Nationales Notfallmanagement

Die Fukushima-Analyse hatte auch bei den Notfallvorkehrungen Mängel aufgedeckt: In Japan war die Vorsorge gegen auslegungsüberschreitende Störfälle nicht ausreichend – es fehlte sowohl an der nötigen Ausrüstung als auch an der klar gesetzlich verankerten Notfallvorbereitung. Daher berief der Bundesrat die interdepartementale Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Notfallschutzmassnahmen bei Extremereignissen in der Schweiz (IDA NOMEX) ein. Teil der Arbeitsgruppe war auch das ENSI. Die Arbeitsgruppe sollte aufgrund der Erfahrungen in Japan untersuchen, ob und wie der Notfallschutz in der Schweiz verbessert werden kann.

Die Umsetzung der in dem Bericht der Arbeitsgruppe identifizierten 56 Massnahmen erfolgte durch die zuständigen Bundesämter. Das ENSI war massgeblich an der Ausarbeitung der Anforderungen für die Mess- und Prognosesysteme, mit denen das ENSI die radiologische Lage nach einem schweren Unfall erfasst und bewertet sowie an der Überprüfung der Referenzszenarien für die Notfallplanung und des Zonenkonzepts beteiligt. Mit dem Ersatz der MADUK-Sonden wurden erweiterte Anforderungen bezüglich Telekommunikation, Infrastruktur und Notstromversorgung umgesetzt. Ebenfalls wurden mit der Einführung der Satellitentelefonie beim ENSI und einer neuen IAEA-kompatiblen Notfallklassierung Verbesserungen sowohl bei der Kommunikationsinfrastruktur als auch bei der frühen Warnung der Behörden im Störfall erzielt. 

Nationale Aufsicht

Dass sich der Unfall im KKW Fukushima-Daiichi so folgenschwer entwickeln konnte, hat auch mit einem mangelhaften Sicherheitsbewusstsein bei der Betreiberin und den Behörden zu tun. Das ENSI zog daraus seine Schlüsse: Fragen der Sicherheitskultur rückten vermehrt in den Fokus der Aufsicht und der Bereich Mensch und Organisation bildet seither einen zunehmend wichtigen Aufsichtsschwerpunkt. Das ENSI hinterfragte aber auch seine eigene Aufsichtskultur und leitete Verbesserungsmassnahmen ab.  

Dies ist der vierte Teil der ENSI-Serie anlässlich des zehnten Jahrestages der Katastrophe in Fukushima-Daiichi vom 11. März 2011. Der nächste Teil über die Standpunkte, die die Schweiz und das ENSI zur Stärkung der weltweiten nuklearen Sicherheit vertrat, erscheint am 4. März 2021.