55. Sitzung des Tiefenlager-Forums: Aktueller Wissensstand zu niedrigen Strahlendosen

In der vergangenen Sitzung des Technischen Forums Sicherheit wurden Fragen zum Thema ionisierende Strahlung, vor allem im Dosisbereich weit unter einem Millisievert, bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle im Tiefenlager behandelt. Es liegen aktuell keine von internationalen Fachgremien akzeptierten Studien vor, die ein signifikant erhöhtes Gesundheitsrisiko von Strahlendosen im Mikrosievert- bis Nanosievert-Bereich zeigen, wie das ENSI in seinen Antworten festhielt.

Beim Technischen Forum Sicherheit (TFS) wurden eine Reihe von Fragen zum Schutz vor den Gefahren ionisierender Strahlung bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle eingereicht. Die Fragensteller interessierten sich insbesondere für die Auswirkungen niedrigster Strahlendosen im Bereich von weit unter einem Millisievert (mSv). Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt die durchschnittliche jährliche Strahlenbelastung aus natürlichen Quellen und Medizin, Industrie und Forschung rund 6 mSv.

Dass das Gesundheitsrisiko für Menschen, die Strahlung ausgesetzt sind, bei einer hohen Dosis steigt, steht in der Strahlenbiologie ausser Frage. Bei Dosen von weniger als 100 mSv dagegen ist gemäss internationalen Fachgremien nicht eindeutig belegt, ob sie sich linear auf das Risiko zu erkranken auswirken. Für Dosen von weit unter 1 mSv (μSv-nSv-Bereich), wie sie von den Fragestellern thematisiert werden, liegen keine von internationalen Fachgremien akzeptierten Studien vor, die ein signifikant erhöhtes Gesundheitsrisiko zeigen. Das liegt unter anderem daran, dass die natürliche Strahlenbelastung deutlich höher ist und diesen Dosisbereich von 0.001 bis 0.000001 mSv überlagert.

Wissenschaftliche Erkenntnisse führen zur Weiterentwicklung des Strahlenschutzsystems

Neue Studien zur Auswirkung ionisierender Strahlung, auch im Niedrigdosisbereich, werden von internationalen Fachgremien wie der ICRP und UNSCEAR geprüft. Die Gremien formulieren aus den Studienergebnissen Strahlenschutzprinzipien, die auch für die Tiefenlagerung Gültigkeit haben.

Diese internationalen Empfehlungen werden schrittweise in die Gesetzgebung übernommen. Die Strahlenschutzvorschriften in der Schweiz sind dem wissenschaftlichen Kenntnisstand angepasst: Die revidierte Schweizer Strahlenschutzverordnung trat 2018 in Kraft. Die Anpassungen in der Gesetzgebung wiederum werden auch bei den Vorgaben für die Tiefenlagerung berücksichtigt.

Das ENSI hielt im Rahmen des TFS für das Strahlenrisiko bei der Tiefenlagerung ausserdem folgende Punkte fest:

  • Die Entsorgung radioaktiver Abfälle hat gemäss Art. 31 des Kernenergiegesetzes in einem geologischen Tiefenlager zu erfolgen. Damit werden die radioaktiven Abfälle vom Lebensraum des Menschen isoliert.
  • Die Anforderungen an die Tiefenlagerung hat das ENSI in der Richtlinie ENSI-G03 geregelt und darin sowohl die Kernenergie- als auch die Strahlenschutzgesetzgebung konkretisiert.
  • Bei geeigneter Wahl des Tiefenlagerstandorts und geeigneter Lagerauslegung werden die radioaktiven Stoffe in den geologischen Schichten langfristig zurückgehalten. Die Gesteinsschichten um ein Tiefenlager schirmen ionisierende Strahlung effizient ab. Aus dem später verschlossenen Tiefenlager wird an der Oberfläche keine Direktstrahlung zu messen sein.
  • Die Langzeitsicherheit ist gemäss ENSI-Vorgaben durch ein System gestaffelter, passiv wirkender technischer und natürlicher Barrieren zu gewährleisten.
  • Ein absoluter Einschluss aller radioaktiven Stoffe über sehr lange Zeiträume ist nicht möglich, aber die Freisetzung von Radionukliden bis in die Biosphäre bleibt durch das Barrierensystem gering und der Schutz von Mensch und Umwelt ist gewährleistet. Es gilt der Grundsatz, dass jede Generation heute oder in Zukunft den gleichen Anspruch auf Schutz vor einer Gefährdung durch ionisierende Strahlung hat.

Das ist das Technische Forum Sicherheit

Im Technischen Forum Sicherheit werden technische und wissenschaftliche Fragen aus der Bevölkerung, von Gemeinden, Standortregionen, Organisationen, Kantonen und Gemeinwesen betroffener Nachbarstaaten zur Sicherheit und Geologie des Tiefenlagers diskutiert und beantwortet.

Das Forum besteht aus Fachpersonen des verfahrensleitenden Bundesamts für Energie (BFE), der überprüfenden bzw. unterstützenden Behörden (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, swisstopo), von Kommissionen (Kommission für nukleare Sicherheit KNS, Beirat Entsorgung, Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung EGT), der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle Nagra, der Kantone, der Nachbarländer, sowie aus Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und den Standortregionen.

Die schriftlichen Antworten zum Thema «Niedrigdosisbereich» (TFS-Fragen 165, 167 und 168) werden nach ihrer Verabschiedung hier veröffentlicht. Die nächste TFS-Sitzung, in der weitere Fragen zum Thema beantwortet werden, findet im September 2023 statt.